Thema 1/2013: Enttäuschte Bürger

Thema 1/2013: Enttäuschte Bürger

Mit Ablauf der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts wurde das Wort „Wutbürger“ in die Online-Enzyklopädie Wikipedia und auch in den Duden aufgenommen, der es als „Zeitungsjargon“ für einen „aus Enttäuschung über bestimmte politische Entscheidungen sehr heftig öffentlich protestierende(n) und demonstrierende(n) Bürger“ definierte. Aus Enttäuschung kann allerdings vieles folgen. Der Wutbürger, der eine Zeit lang Konjunktur hatte, stellt nur eine Konsequenz dar. Im politischen Feld geht es zunächst darum, dass Bürger und Bürgerinnen nicht mehr nachvollziehen können, was „die Politik“ unternimmt; sie fühlen sich in ihren Erwartungen getäuscht, wenden sich von ihren Repräsentanten ab, sind vielleicht resigniert oder verbittert. Verlorene Illusionen können natürlich auch zu einem neuen Realismus führen. Möglicher Weise schlägt dann der Bürgerunmut in eine neue „Bürgermacht“ um – wie Theoretiker und Praktiker der neuen sozialen Bewegung hoffen.

Doch man sollte nicht vergessen: Die Absage an die „etablierte Politik“ und die Hoffnung auf einen starken Mann oder eine starke Frau, die den verkommenen demokratischen Laden endlich einmal aufräumen, sind ebenfalls mit inbegriffen. Auf solche unterschiedlichen Punkte, auf Ursprünge, Wirkungen und Verlaufsformen politischer Enttäuschung, will die vorliegende Ausgabe des Journals aufmerksam machen. Sie kann dabei natürlich nicht alle Facetten dieses (un-)politischen Phänomens berücksichtigen. Im Grunde sind hier ja auch Fragen angesprochen, die das Journal seit seinem Start im Januar 2011 kontinuierlich behandelt und die in der Fachöffentlichkeit der politischen Bildung unter verschiedenen Rubriken Dauerthema sind. Im vorliegenden Heft wird daher – orientiert an aktuellen Vorgängen – eine Auswahl geboten.

Einleitend umreißt Johannes Schillo (Redaktion Journal) unter dem Titel „Demokratie-Enttäuschung“ die verschiedenen Aspekte des Themas und bezieht dabei auch die aktuellen Diskurse in Politikwissenschaft und politischer Bildung mit ein. Professor Ulrich Eith (Studienhaus Wiesneck) stellt dann, gestützt auf konkrete Erfahrungen im Bundesland Baden-Württemberg – Stichwort: Stuttgart 21 –, die Frage, ob und wie der Imperativ „Mehr direkte Demokratie“ in der gegenwärtigen Situation dazu führen kann, dass mehr Menschen zur Auseinandersetzung mit Politik angeregt werden.

Hanjo Schild richtet den Blick auf Europa, auf die allgemeine Stimmung, auf die Initiativen zur Jugendpolitik und die Programme, wie sie Europarat und Europäischer Kommission seit einigen Jahren verstärkt zur Förderung „Europäischer Bürgerschaft“ auflegen. Eva Feldmann-Wojtachnia M.A. und Dr. Barbara Tham von der Forschungsgruppe Jugend und Europa knüpfen daran an. Sie diskutieren ebenfalls Befunde zur Politikverdrossenheit am Beispiel Europa und kommen dabei zu differenzierten Ergebnissen. Schwerpunkt ihres Beitrags ist der Strukturierte Dialog, den die EU mit ihrem Jugendprogramm verfolgt. Andreas Michelbrink (ver.di) beleuchtet das Thema aus dem Blickwinkel gewerkschaftlicher Bildungsarbeit. Unter dem Titel „80 Jahre Machtergreifung – 80 Jahre Zerschlagung der Gewerkschaften“ geht es um die Frage, warum seinerzeit eine zivilgesellschaftliche Macht wie die Arbeiterbewegung nicht die Durchsetzung einer faschistischen Diktatur in Deutschland verhinderte.

Außerhalb des Themenschwerpunkts werden unter QuerDenken Grundsatzfragen und Praxisreflexionen der Jugend- und Erwachsenenbildung aufgegriffen. Falk Scheidig (Universität Augsburg) befasst sich mit terminologischen Schwierigkeiten des non-formalen Feldes, die zur Verstärkung der dort oft festgestellten Unübersichtlichkeit beitragen, die aber nicht nur ein  Bezeichnungsproblem darstellen, sondern mit konzeptionellen Differenzen verbunden sind. Ute Schad (Hochschule München) gibt mit einem Werkstattbericht über ein Menschenrechtsbildungsprojekt Einblick in die politisch bildenden Möglichkeiten der offenen Jugendarbeit. Mit der Jugendbildung befasst sich auch der folgende Beitrag von Prof. Benno Hafeneger (Universität Marburg); er stellt grundsätzliche Anfragen an die aktuellen Jugenddebatten in Sachen Werte und Wertebildung. Dem 50. Jubiläum des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) ist ein Beitrag von Jean-Daniel Mitton (Arbeit und Leben) in der Rubrik ÜberGrenzen gewidmet.

Die weiteren Rubriken enthalten Nachrichten, Kommentare und Materialien zur Bildungsszene. Hingewiesen sei auf die Stellungnahme von Ina Bielenberg (Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten) unter VorGänge, die die Debatte um „Bildungsferne“, wie sie im Journal 4/12 aufgegriffen wurde, aus dem Blickwinkel eines großen Trägerzusammenschlusses kommentiert. Alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der politischen Bildung sind aufgefordert, vom Journal als Forum für den fachlichen Diskurs Gebrauch zu machen. Zu den Themenschwerpunkten sollten möglichst frühzeitig Anregungen und Vorschläge an die Redaktion gerichtet werden. Das Gleiche gilt für Hinweise auf Projekte, Veranstaltungen u.a. Dabei sind die Redaktionstermine der Zeitschrift (siehe Heftplanung) zu berücksichtigen.