Interview mit Johannes Kreye, freier Mitarbeiter der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein in Werneuchen und Initiator des Projektes „»früh aufgestellt« – Prävention gegen rechte Ideologien. Für mehr Demokratie an der Grundschule!“. Das Projekt wurde mit dem 1. Preis Politische Bildung ausgezeichnet.

Interview mit Johannes Kreye, freier Mitarbeiter der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein in Werneuchen und Initiator des Projektes „»früh aufgestellt« – Prävention gegen rechte Ideologien. Für mehr Demokratie an der Grundschule!“. Das Projekt wurde mit dem 1. Preis Politische Bildung ausgezeichnet.

Lieber Herr Kreye – zunächst einmal Herzlichen Glückwunsch zum 1. Platz des Preis Politische Bildung 2015. Das ist ein toller Erfolg. Wie sind Sie eigentlich auf die Idee für das Projekt gekommen und was ist das Besondere daran?

Vielen Dank. Die Projektidee basiert auf Erfahrungen aus der politischen Bildungsarbeit mit Kindern, die ich bei der Arbeit in der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein sammeln konnte, und Impulsen aus einer umfangreichen Fortbildung zur Rechtsextremismusprävention – „breit aufgestellt“ bei Arbeit und Leben Hamburg. Diese beiden Arbeitsfelder zu verbinden und dabei altersadäquate Zugänge und Methoden (weiter) zu entwickeln war die leitende Motivation bei der Entwicklung des Projekts. Grundschüler_innen werden ohnehin viel zu selten als Zielgruppe außerschulischer Bildungsarbeit angesehen, obwohl sie mit viel Empathie und einem ausgebildeten Ungerechtigkeitsempfinden Benachteiligungen und Diskriminierungen erkennen und bewerten können.

Durch die Kooperation mit der Grundschule Schönow konnten wir sicherstellen, dass wir auch die Kinder erreichen, die sonst von Bildungsangeboten ausgeschlossen bleiben. Zugleich bot die Arbeit am außerschulischen Lernort, im lokalen Jugendclub „Yellow“ die Möglichkeit für die Schüler_innen sich auszuprobieren und auch mal eine andere Rolle innerhalb der Gruppe einzunehmen. Deshalb denke ich, konnten die Vorteile beider Orte für den Lernprozess genutzt werden.

Außerdem ist es etwas Besonderes, dass die Kinder das Hauptthema für die Projekttage selbst wählen konnten. Sie sollten selbst entscheiden, ob sie sich eher mit der Frage „Werden Jungen und Mädchen immer gleich behandelt?“ „Können Behinderte überall mitmachen?“ oder „Wer entscheidet eigentlich wer in Deutschland leben darf?“ beschäftigen. Ich bin überzeugt, dass diese Wahl ganz zentral für die Schüler_innen war. Dahinter steht die Grundannahme, dass rechte Ideologien nicht ausschließlich Phänomene am rechten Rand, sondern Bestandteile gesellschaftlicher Prägung auch der Mitte der Gesellschaft sind. Zentraler Aspekt dieser Ideologien ist das Syndrom der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Dessen Kern – eine Ideologie der Ungleichwertigkeit – führt zu einer Abwertung und Ausgrenzung von konstruierten Menschengruppen. Die Schüler_innen sollten in der Auffassung gestärkt werden, dass alle Menschen gleichwertig sind. Dies fand unabhängig davon statt, welche vertiefende Fragestellung sie bearbeiteten.

Bei den drei Projekttagen wurde hauptsächlich mit Grundschulkindern zusammengearbeitet. Wie hat die Zusammenarbeit funktioniert und wie aktiv haben sich die Kinder eingebracht?

Dass niemand im politikfreien Raum lebt, gilt auch für Grundschüler_innen. Politische Diskussionen finden aber häufig über ihre Köpfe hinweg statt, ihre Meinungen und Ideen haben darin oft keinen Platz und werden nicht gewertschätzt. Sie werden nicht gefragt. Im Projekt sollte dem entgegengewirkt werden. Mein Eindruck während der Projekttage war, dass es den Kindern gut tat den Raum zu erhalten sich intensiv miteinander auseinanderzusetzen. Da kam es schon auch zu Streit. Insgesamt ist es aber wichtig, zu erleben, dass nicht jeder Streit im Konsens enden kann und manche Meinungen nebeneinander stehen bleiben müssen. Eine eigene Meinung zu heiklen gesellschaftspolitischen Themen zu entwickeln braucht viel Zeit. Dies ist in der engen Taktung von Schulunterricht häufig nicht möglich. Auch die Arbeitsphasen in Kleingruppen schafften immer wieder den Raum für alle sich nach ihrem Interesse einzubringen.

Neben der Wahl des Hauptthemas der Projekttage, war die Beteiligung der Schüler_innen aber auch sonst sehr hoch. Uns war es sehr wichtig transparent zu arbeiten, so dass alle Schüler_innen zu jedem Zeitpunkt wussten, was warum wann geschieht. Nur so war es ihnen dann ja auch möglich Kritik zu formulieren. Diese haben wir versucht in unseren Planungen zu berücksichtigen. Die Projekttage waren im Grunde ein ständiger Aushandlungsprozess, bei dem wir den Rahmen vorgeben hatten, die Schüler_innen aber viel mitbestimmen konnten. Diese Möglichkeit nahmen sie auch wahr. Letztlich haben wir versucht den Rahmen zu bieten, in dem sie sich ihre Fragen beantworten können. Das hat gut geklappt.

Die aktive Beteiligung wurde auch im Feedback der Schüler_innen deutlich. Dies war zum einen sehr positiv, wobei es auch kritische Stimmen gab. Viel beeindruckender waren aber viele Anmerkungen, die Verbesserungsvorschläge machten oder offene Fragen aufbrachten. Hier merkte man, dass die Kinder sich selbst an den Projekttagen als wirkmächtig erlebten.

Das Projekt mündete in einer Filmproduktion. Die Schüler_innen hatten so, die Möglichkeit ihre eigenen Gedanken noch einmal kreativ umzusetzen und eine Kurzgeschichte oder Reportage zu drehen. Ob dabei die eigenen Meinungen oder die von interviewten Passant_innen im Mittelpunkt standen, entschieden die Schüler_innen selbst. So entstand eine beeindruckende Vielfalt an Filmen. Der Dreh war in jedem Fall ein großer Motivationsfaktor. Die entstandenen Filme, von denen einige auch auf dem Weblog des Projekts zu sehen sind, sprechen da für sich.

Wie schätzen Sie den Erfolg des Projektes in den beiden Schulklassen ein? Sind Nachfolgeprojekte geplant – ggf. an anderen Schulen?

Insgesamt ist klar festzuhalten, dass das Funktionieren solcher Projekttage in der Altersgruppe eine Frage des didaktischen und methodischen Zugangs ist. Kinder können brutal ehrlich sein, wenn man den falschen Zugang wählt. Wir konnten im Projektteam auf Erfahrungen aus der Arbeit im Projekt „Vielfalt leben lernen“ der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein zurückgreifen, haben uns aber auch teilweise neu orientiert.

Ich denke, ein Erfolg war das Projekt schon allein deswegen, weil es die Möglichkeit für die Schüler_innen bot, sich auf Themen einzulassen und sich aktiv für die Auseinandersetzung mit einem Thema zu entscheiden. Dies haben die Kinder angenommen. Die teilnehmenden Gruppen haben sich auf unterschiedliche Themen konzentriert. Dabei mussten auch einige innere Widerstände überwunden werden. Es wurde gestritten und versöhnt, gespielt und gearbeitet. Die Kinder haben sich intensiv miteinander auseinander gesetzt und viel gelernt. Und das Ganze hat ihnen auch noch Spaß gemacht. So sollte Lernen ja eigentlich immer funktionieren.

Nachfolgeprojekte wird es sicherlich geben, wobei ich da als freier Mitarbeiter nicht für langfristige Planungen der Bildungsstätte sprechen kann. In einem aktuellen Modellprojekt der Bildungsstätte im Bundesprogramm „Demokratie leben“ sind aber neben Jugendlichen auch Fünft- und Sechstklässler_innen Zielgruppe für Bildungsangebote.

Darüber hinaus möchte ich aber die entwickelten Projekttage des Projekts „früh aufgestellt“ noch häufiger durchführen. Es wäre beispielsweise spannend auch mit Berliner Gruppen zu arbeiten. Hierbei ist das Preisgeld eine gute Hilfe. Um die Projekttage noch öfter durchführen zu können, wären dann aber weitere Mittel notwendig. Und da wären wir wieder an dem leidigen Punkt, dass Grundschüler_innen leider noch nicht immer als Zielgruppe politischer Bildungsangebote und somit auch deren Finanzierung angesehen werden.

Wie gehen die Eltern mit einem Projekt um, bei dem Ihre Kinder höchst wahrscheinlich zum ersten Mal das Thema Diskriminierung so direkt diskutieren?

Das hat sich in unserem Fall als ganz unproblematisch erwiesen, wobei die Jugendbildungsstätte schon sehr lange mit der Grundschule in Schönow kooperiert und so sicherlich auch in der Elternschaft in den letzten Jahren viel Vertrauen aufgebaut wurde. Im Vorfeld haben wir in einem umfangreichen Brief über das Projekt und die Ziele informiert, im Übrigen so, dass dies nicht über die Köpfe der Kinder hinweg geschah, die zusätzlich einen eigenen für sie bestimmten Flyer erhielten. Vor dem Projekt gab es von Seiten der Eltern aber noch keinen Diskussionsbedarf.

In der abschließenden Präsentation der fertiggestellten Filme der Kinder waren dann auch deren Familien eingeladen. Die Reaktionen waren sehr positiv. Viele Eltern haben nach der Veranstaltung die Diskussion mit dem Projektteam gesucht und auch davon berichtet, dass die eine oder andere Diskussion der Projekttage zu Hause am Küchentisch gelandet ist. Daran wird nochmal deutlich, dass das Projekt auch über die unmittelbare Zielgruppe hinaus wirken konnte. Die Kinder waren letztlich die Expert_innen für ihre Themen und hatten mit ihren Filmen vorzeigbare Ergebnisse, die sie präsentieren konnten und für die sie Wertschätzung erfuhren.

Es mag sein, dass Eltern in einem andern Kontext dem Projekt kritischer gegenüberstehen. Umso wichtiger erscheint es mir dann aber mit diesen Kindern zu arbeiten und sie zu unterstützen, sich Fragen zu stellen und Antworten zu finden, die noch viel zu häufig in der Gesellschaft in pauschalen Urteilen und emotionalisierten Debatten münden, die letztlich immer wieder viele Menschen ausschließen.

 Weitere Information zum Projekt finden Sie unter www.früh-aufgestellt.de.

In Ihrer Würdigung des Projekts hob die Parlamentarische Staatssekretärin im BMFSFJ, Caren Marks hervor, dass die Jury sich für dieses Projekt entschieden hat, weil dabei ein „anspruchsvolles Thema für die junge Zielgruppe von Grundschülerinnen und Grundschülern im Alter von 10 bis 11 Jahren in hervorragender Weise aufgegriffen und umgesetzt“ wird. Es ginge darum, Werte wie Solidarität, Gerechtigkeit, Toleranz und Empathie so früh wie möglich zu vermitteln.